Beurteilung der Tiere
von Luise Pachaly
und Dr. Gunhild Kurt
Erstellt zum Züchtertreffen des ZVSP am 1. Juni 2019 in Bornheim / überarbeitet 2021
a. Anwendung
Die Tierbeurteilung erfolgt mehrmals im Leben eines Tieres:
- vom Züchter selbst im eigenen Bestand mehrmals zur Zucht- / Schlachtauswahl
als Lamm, als Jährling, zum Decken, zum Ausmustern
für die Körung, für Prämierungen und Ausstellungen
von fremden Tieren beim Zukauf, an der Körung oder in andere Betrieben - vom Zuchtwart zur Herdbuchaufnahme von weiblichen Tieren oder Vorselektion von Böcken
- von der Körkommission zur Herdbuchaufnahme von Böcken
- von Prämierungskommissionen auf Schauen, Ausstellungen etc.
Die bei der Herdbuchaufnahme vergebenen Noten der Exterieurbeurteilung für Wolle (W), Bemuskelung (B) und Äußere Erscheinung (E) werden im Herdbuchprogramm OVICAP eingetragen. Diese Bewertung gilt lebenslang. Bewertet wird in Noten von 1 (sehr schlecht) bis 9 (ausgezeichnet). Auf Antrag des Züchters kann eine Neubewertung erfolgen, wobei das Ergebnis der letzten Bewertung gilt.
b. Grundlage der Beurteilung
Jede Rasse hat eine im Zuchtprogramm definierte Rassebeschreibung (Standard, den Herdbuchtiere erfüllen müssen) und ein Zuchtziel (da wollen wir hin). Dies ist die Grundlage jeder Beurteilung eines Herdbuchzüchters.
Darüber hinaus gibt es eigene Züchterziele, die der Züchter in seinem Bestand verfolgt. Zum Beispiel kann der Züchter bestimmte Farbschläge züchten, mit oder ohne Schaupe…, oder er selektiert Tiere mit besonders gut geformten, harten Klauen, die nicht so häufig geschnitten werden müssen, oder es werden besonders gute Muttereigenschaften selektiert (gute Milchleistung; fremde Lämmer nicht/oder doch saufen lassen; gute Zwillingsmütter) und vieles mehr. Die Liste der Züchterziele ist unendlich lang!
c. Technik der Beurteilung
Am besten beurteilt man Tiere bei gutem Licht auf festem Untergrund (Beton, Asphalt, wenig Einstreu). Ideal ist die Beurteilung im Freien, wenn die Sonne nicht zu tief steht und nicht blendet. Wer Tiere beurteilt, sollte dabei immer nach dem gleichen Schema oder Ablauf vorgehen. So kann man sicherstellen, dass nichts vergessen wird:
- Ohrmarke kontrollieren
- Geschlecht kontrollieren – incl. Euter/Hoden
- Alter feststellen, incl. Gebisskontrolle und – falls wichtig – Farbe der Zunge
- Beurteilung der Wolle
- Farbe des Tieres feststellen, incl. fuchsigen Flecken Wolle, Pigmentflecken Beine + Kopf
- Beurteilung von Einzelmerkmalen des Exterieurs am stehenden Tier:
Bauchbewollung, Schaupe u.a. kontrollieren/dokumentieren,
Schwanzlänge (Skudde),
Horn (unerlaubte Hornansätze Pommern; Hornform Skudde weibl. dokumentieren;
gleichmäßige Hörner Skuddenböcke, eine Hand breit/hoch Abstand zum Kiefer),
evtl. Fehlstellungen, „Druck“ im Rücken/in der Schulter… etc. - Äußere Erscheinung, Gesamtbild, incl. Gang
d. Geschlecht, Euter, Hoden
Die äußeren Geschlechtsorgane müssen eindeutig und gleich entwickelt sein. Zwitter sind unerwünscht und ohnehin in der Regel unfruchtbar. Bei Böcken sollen beide Hoden gleich (gut) ausgebildet sein. Spalthoden sind eher ein optischer Fehler, der sich vererbt; die Fruchtbarkeit ist nach bisherigen Kenntnissen nicht eingeschränkt. Das Auftreten sollte dokumentiert werden.
Das Euter sollte möglichst nur zwei korrekte Zitzen haben.
Vier getrennte Zitzen wie auf dem Foto rechts sind unerwünscht und können mit Notenabzug in der Äußeren Erscheinung bewertet werden; Tiere mit verwachsenen Zitzen sollten von der Zucht ausgeschlossen werden. Warzen am Euter sind unerwünscht.
e. Alter, Zähne/Gebiss, Zunge
Durch den Zahnwechsel ist bis zum Alter von 4 Jahren die Altersbestimmung relativ sicher möglich. Danach werden die mittleren 4 Schneidezähne (Zangen und innere Mittelzähne) zunehmend schmaler und länger.
Das korrekte Gebiss ist ein Merkmal, das zur Äußeren Erscheinung zählt. Unerwünscht sind Überbiss (untere Schneidezähne stehen über den Oberkiefer hinaus) ebenso wie Unterbiss / Saumaul (Unterkiefer ist verkürzt). Beide Gebiss-Fehlformen beeinträchtigen die Futteraufnahme – insbesondere bei kurzem Gras auf der Weide.
Am besten spürt man einen evtl. Unterbiss, wenn man mit dem Daumen über den geschlossenen Kiefer fährt. „Kratzt“ dabei ein Jährlingsbock, so gibt es in der ÄE eine Note schlechter. Beißt das Tier über, aber die Zähne liegen noch an, gibt es 2 Noten schlechter. Wenn ein €-Stück dazwischen passt, gibt es drei Noten schlechter. Tiere unter einem Jahr mit deutlichem Kratzen / Überbiss sollten nicht zur Zucht eingesetzt werden. Tiere im Zahnwechsel können nicht beurteilt werden.
Die Zunge der Pommern muss dunkel sein; rosa Zungen sind nicht erlaubt. Die Zunge der Skudden ist je nach Farbe rosa (weiße Tiere), zum Teil auch mit Pigmentierung; schwarz (schwarze Tiere); dunkelrosa bis gräulich-rosa (braune/graue Tiere) oder auch gescheckt (Schecken).
f. Wollbeurteilung
Bei der Wolle rückt der Nutzaspekt zunehmend in den Hintergrund; der Tierschutzaspekt wird immer wichtiger: Schutz vor Kälte, Sonne, Regen/Schnee, Wind. Dementsprechend sind Wollmenge, Wolldichte, eine ausreichende Bauchbewollung und ein möglichst geschlossenes Vlies wichtige Merkmale. Grundsätzlich sind die Rassebeschreibung und das Zuchtziel zu beachten (zum Aufbau der Vliese von Skudden und Pommern siehe Abschnitt j. / Seite 4).
Jahreszeit, Schurzeitpunkt, Trächtigkeit, Ablammung und Anzahl Lämmer sind bei der Wollbeurteilung zu berücksichtigen.
Das Merkmal Wolle beurteilt die für die „normale“ / übliche Verarbeitung verwertbare Wolle. Bei der Wollbeurteilung geht man in drei Schritten vor:
- Beurteilung vom äußeren Vlies, der Stapelung, evtl. Überhaar (oder Mähne, wo sie nicht erwünscht ist) und dem Gesamteindruck der Wolle
- Beurteilung vom inneren Vlies durch Scheitelung der Wolle auf beiden Seiten des Tieres, an Schulter, Flanke und Keule; Prüfen, ob alle Vliesbestandteile vorhanden, die Wolle gleichmäßig und die Farbe einheitlich ist. Auch Glanz, Feinheit der Wollfasern oder Wollfehler (Filz, Feinheit/Kräuselung) können beurteilt werden.
Skudden wie Pommern haben auf dem Rücken einen Aalstrich, der bei Pommern meist farblich dunkel abgesetzt, aber immer mit zahlreichen Kurzhaaren besetzt ist. Kurzhaare bei der Skudde findet man mindestens oberhalb der Schwanzwurzel. - Griff in die Wolle; Feststellen der Festigkeit (Krimpkraft) und der Wollmasse.
Wollfehler wie z.B. fehlende Kurzhaare/Langhaare bei der Skudde gibt es oft im Bereich der Schulter; Überhaare oder unerwünschte Mähne bei weiblichen Tieren sind typische Wollfehler bei Pommern. Tote Haare können insbesondere im Sommer bei Skudden wie auch bei Pommern vorkommen; sie sind ein Zeichen für die Ursprünglichkeit der beiden Rassen und erinnern an den früheren Fellwechsel bei den Wildschafen.
Wollbewuchs am Kopf (Schaupe, Gesichtsbewollung…) wird zwar bei der Herdbuchaufnahme dokumentiert, spielt aber für die Benotung keine Rolle. Da diese Wolle nicht verarbeitet wird, fließen die Merkmale über den Typ/Gesamteindruck des Tieres mit ein in die Note der Äußeren Erscheinung.
Auch Bauchwolle ist keine „Verarbeitungswolle“; ausreichende / gute Bauchbewollung hat mit Tierschutzaspekten zu tun. Das Merkmal „Bauchbwollung“ fließt daher in die Äußere Erscheinung mit ein. Allerdings kann die Bauchbewollung je nach Tier im Sommer nicht/nur schlecht beurteilt werden, da dann manchmal nichts da ist; im Winter aber sehr wohl. Das ist generell ein Problem beim üblichen Körtermin des ZVSP Anfang August.
g. Die Farbe
spielt sowohl bei der Wollnote als auch bei der Äußeren Erscheinung mit. Die neue Rassebeschreibung der Skudde (ZVSP seit Feb. 2019) lautet:
Die Vliesfarbe ist in der Regel weiß, schwarz, braun oder grau. Tiere mit Scheckungen oder Zeichnungen können auftreten. Die Farbe wird im Zuchtbuch vermerkt.
Das bedeutet, dass – typisches Skuddenvlies vorausgesetzt – die Farbe im Prinzip egal ist. Mit Blick auf die Verarbeitbarkeit (einheitliche Farbe) gilt für die Herdbuchaufnahme aber Folgendes:
- andersfarbige Stichelhaare im Wollvlies bei ganzfarbigen Tieren gibt Abzug, mind. 1 Note (oder mehr, wenn viele Stichelhaare), wobei fuchsige Kurzhaare im weißen Vlies weniger streng beurteilt werden; das typische grau-werden schwarzer oder brauner Skudden mit dem Alter (insbes. der Langhaare) gibt um so mehr Abzug, je jünger die Tiere sind;
- gescheckte Tiere geben Abzug in der Wollnote, weil nicht „farbrein“ verarbeitbar;
- schwarz/braun-, schwarz/grau- oder braun/grau–Abstufungen im Vlies geben Abzug;
- unterschiedliche Wolllängen bei verschiedenen Farben von Schecken geben Abzug
- solange nur kurz behaarte Körperteile bunt sind (weiße Kopf-/Beinflecken, Dachsgesicht…), wird es bei der Wolle nicht bewertet
Zur Frage, welche Farbe in OVICAP eingetragen wird, siehe VDL-Merkblatt „Farbeintrag im Zuchtbuch“. Der Farbeintrag erfolgt durch den Züchter mit der Ablammeldung und wird ggf. bei der Herdbuchaufnahme bzw. Körung korrigiert.
h. Bemuskelung
Bemuskelung wird bei Skudden und Pommern aufgrund des entsprechenden VDL-Beschlusses seit 2019 bewertet. Die Note fließt allerdings nur mit 5% in die Zuchtwertschätzung ein.
Die Bemuskelung bewertet die fleischtragenden Partien von Brust, Schulter, Rücken und Keule („Metzgergriffe“) entsprechend ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und unter besonderer Berücksichtigung der Eignung der Tiere für die Landschaftspflege. Auch bei der Bemuskelung gilt also: Skudden und Pommern sind in erster Linie kleinrahmige, leichte Schafe für die Landschaftspflege. Aber auch bei diesen Rassen gilt: fleischigere Tiere können besser vermarktet werden.
Bemuskelung variiert stark in Abhängigkeit vom Ernährungszustand und der Säugeleistung.
i. Äußere Erscheinung
Zur Äußeren Erscheinung gehört die Beurteilung sämtlicher Körperpartien einschließlich des Gesamteindrucks (Typ), des Fundaments, des Ganges, der Geschlechtsmerkmale (Nr.4.) und des Gebisses (Nr. 5); bei Skudden kommen Schwanz (Länge, Form, Behaarung) und Hörner (Form, Abstand) hinzu.
Bei der Beurteilung geht man die Körperpartien am besten von vorne nach hinten durch. Dokumentieren kann man die Beurteilung der Äußeren Erscheinung und des Körperbaus am einfachsten mit dem sogenannten Rechteckschema, bei dem in ein Rechteck oder in eine Schafskizze Zeichen und Zahlen nach einem bestimmten Schlüssel eingetragen werden – zu finden in der Schafliteratur.
Den Gang beurteilt man am einfachsten, wenn die Tiere in einem gleichwinkligen Dreieck laufen: vom Beurteiler weg, hinten quer/seitlich und dann wieder auf den Beurteiler zu,
Auch die Farbe spielt bei der Äußeren Erscheinung mit: hierher gehört alles, was den Gesamteindruck des Tieres betrifft. Abzüge in der Äußeren Erscheinung geben:
- andersfarbige Stichelhaare, die man von außen sieht,
- wild verteilte Flecken / Scheckungen (aber nicht Schimmel/graue Tiere, Dachsgesichter…),
- weiße Abzeichen oder größere farbige Flecken an Kopf, Beinen etc.,
- fehlende Pigmentierung bei weißen Tieren (rosa Nasen).
j. Vliesaufbau von Skudden und Pommern
Ostpreußische Skudden und Rauhwollige Pommersche Landschafe tragen ein mischwolliges Vlies. Sie stehen damit in der Entwicklung zwischen der Wildschafdecke der ersten domestizierten Schafe und der Schlichtwolle (schlichtwollige Landschafe wie z. B. Rhönschaf; ausschließlich „schlichte“ Wollfasern bzw. Feinwolle (Merino)).
Die Wildschafdecke besteht aus borstigen Deckhaaren (15-219µ, Durchschnitt 108µ) und extrem feinen und kurzen Wollfasern (5-25µ, Durchschnitt 10µ) im Verhältnis 1:6 (d.h., 14% Deckhaare). Außerdem findet man selten Fasern, die in ihrer Struktur zwischen Deckhaar und Wollfaser einzuordnen sind (auf 50 Deckhaare 1 Faser). Diese Fasern sind etwas länger als die Wollfasern und nicht gekräuselt, sondern gewellt. Aus diesen Übergangsfasern entwickelten sich in der Eisenzeit die Langhaare, die langen und schlicht gewellten Deckhaare der Skudden und anderer Rassen der Gruppe „Nordische kurzschwänzige Heideschafe“.
Skuddenvliese haben daher drei Bestandteile:
Kurzhaare (Deckhaar beim Wildschaf, 15-250µ, Durchschnitt 68µ) heben und senken die darüber liegenden sehr feinen Wollfasern (7-40µ, Durchschnitt 24µ) und regeln damit den Wärmehaushalt der Tiere. Die das äußere Vlies bildenden, schlicht gewellten Langhaare (15-90µ, Durchschnitt 44µ) schützen vor Regen und Schnee.
Bei der Skudde stehen diese drei Fasertypen im gesamten Vlies im Verhältnis
1 Kurzhaar : 2 Langhaare : 7 Wollfasern.
Das ebenfalls mischwollige Vlies der Rauhwolligen Pommerschen Landschafe zeigt eine weitere Stufe der Vlies-Evolution. Bei dieser Rasse wachsen 70 bis 80% der Kurzhaare (eigentlich kurzhaar-ähnliche Langhaare), die pigmentiert sind, kontinuierlich bis an die Stapelspitze. Sie bilden mit den unpigmentierten Langhaaren das äußere Vlies.
Die restlichen Kurzhaare unterliegen wie bei der Skudde und beim Muffelwild dem Haarwechsel. Die Wollfasern erreichen 80% der Gesamtstapellänge, im Gegensatz zu 40-60% bei der Skudde. Deshalb ist der Pommernstapel „blockförmig“ und nicht „spitzförmig“ wie bei der Skudde.
Faserdurchmesser Pommern:
Kurzhaare (KH) 28-156µ, Ø 64µ;
kurzhaarähnl. Langhaare (kLH) 25-102µ, Ø 57µ;
Langhaare (LH) 21-87µ, Ø 44µ;
Wollfasern (W) 13-55µ, Ø 31µ.
Anteilmäßig haben Pommernvliese ein Faserverhältnis von 1 KH/kLH : 2 LH : 8 W.
Kurzhaare sind wichtig, da
- sie den Wärmehaushalt regulieren und somit die ganzjährige Haltung im Freien ermöglichen,
- sie die Ursprünglichkeit der Vliese gewährleisten (bei Skudden garantieren sie feine Wollfasern, bei Pommern die stahlgraue bzw. blaugraue Farbe),
- sie durch ihre Lichtreflexion bzw. unterschiedliche Farbaufnahme das fertige Tuch lebendig und atmungsaktiv gestalten.